Die Reise der "Vögel des Glücks"


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Rastende Kraniche
Seit einigen Tagen sind die Kraniche wieder verstärkt unterwegs. Die Reise der "Vögel des Glücks" nach Süden wird sich wohl wieder vor allem zwischen Mitte Oktober und Ende November abspielen, wie es in einer Pressemitteilung des NABU-Kreisverbands Gießen heißt.

Der Verband sammelt seit Anfang der 1990er Beobachtungsdaten für den "Vogelkundlichen Jahresbericht" und hat unlängst eine Auswertung der gesammelten Zahlen einschließlich einer Sichtung älterer Literatur vorgelegt.

Der Kranichzug über dem Gießener Land ist demnach keine neue Erscheinung. Schon aus dem 19. und 20. Jahrhundert sind Beobachtungen ziehender Kraniche beschrieben. So schrieb der Vogelkundler Werner Sunkel 1926: "Die in breiter Front über Hessen ziehenden Kranichflüge sind in allen Gegenden eine der bekanntesten Vogelzugerscheinungen.", In einer Ver6OUML,ffentlichung mit seinem Kollegen Ludwig Gebhardt von 1954 heißt es, dass die Stärke der Zugkeile zwischen Zahlen unter zehn und mehreren Hundert pendele, jedoch seien Ketten aus über 100 bis 150 Vögeln eine Seltenheit. Als Rastplätze wurden Bereiche im Busecker Tal und in der Lahnaue angegeben, das Horlofftal − eines der heute wichtigsten Rastgebiete − wird hingegen nicht erw&aul;hnt.

Von diesen geringen Zahlen sind wir heute weit entfernt, sagt Tim Mattern. Er bearbeitet den Kranich seit über einem Jahrzehnt für den jährlich erscheinenden Bericht. In der "Avifauna von Hessen" geben die Autoren 1998 gesch&aul;tzt 40.000 bis 70.000 Durchzügler beim Herbstzug über Hessen an, bei damals etwa 40.000 bis 50.000 Brutpaaren in ganz Europa. Heute brüten rund 130.000 Kranichpaare in Europa, davon 9.000 in Deutschland. In diesem Jahr gab es den ersten Brutnachweis des Kranichs in Hessen: Im Reinhardswald. "Dieser Bestandsanstieg in Folge von konsequenten Schutzmaßnahmen macht sich gerade im Herbst auch bei uns bemerkbar", freut sich Mattern. "Bis zu 1.500 Meldungen über ziehende oder rastende Kraniche erhält der NABU-Kreisverband jedes Jahr − vor ca. zehn Jahren waren es noch etwa halb so viele", so Mattern. Das liege daran, dass der NABU die Daten aus den Internetportalen naturgucker.de und ornitho.de verwenden darf, wo jeder seine Sichtungen eintragen kann. "Die hohe Anzahl der Datensätze macht es mittlerweile unmöglich, Doppelmeldungen von Kranichtrupps herauszufiltern", erläutert Mattern. Denn gerade an Tagen mit hohem Zugaufkommen werden die Vögel nicht nur von vielen gesehen, sondern die selben Individuen auch mehrfach in die Portale eingegeben. Insgesamt geht er davon aus, dass im Herbst jedes Jahr zwischen 150.000 und 220.000 Kraniche den Kreis Gießen überqueren. "Diese Größenordnung hat sich ungefähr seit 2008 eingependelt." Insgesamt schwanke die Zahl auch in Abhängigkeit von der Witterung und vom Wind − "manchmal ziehen sie weiter westlich oder östlich."

Einen weiteren Fakt zum Kranichzug kann man aus den langjährigen Datenreihen ermitteln: Im Vergleich von 1991 bis 2019 ergibt sich eine leichte Tendenz hin zu späteren Massenzugtagen. Auch der so genannte Median-Wert (die Hälfte der in einem Jahr beobachteten Kraniche ist durchgezogen) ergibt von 2008 bis 2019 die gleiche Tendenz. Der Herbstzug beginnt meist schon Ende September. Das Geschehen zieht sich dann bis Jahresende, manchmal bis in den Januar.

Die Rasttradition im nördlichen Horloffgraben bildete sich erst mit der Schaffung der vielen Gewässer heraus. Das Gebiet ist heute so gut, dass seit 2009 regelmäßig einzelne Kraniche dort den Sommer verbringen. Bisher handelte es sich immer um Jungvögel aus dem Vorjahr. Aber für die heimischen Kranichfans besteht die Hoffnung, dass der nächste hessische Brutnachweis vielleicht aus dem Horlofftal vermeldet wird.