30 Jahre detaillierte Dokumentation der heimischen Vogelwelt ist ein Grund, einen Moment innezuhalten und sich über diesen Fundus zu freuen, auf den auch spätere Generationen noch zurückgreifen können.


Blaukehlechen mit gefächerten Schwanz, Klaus Lowitz Ein weiterer Meilenstein der Ornithologie im Kreis Gießen ist das Erscheinen einer Avifauna des Kreisgebietes relativ zeitgleich mit diesem Band, der einen tiefen Einblick in den Gesamtzustand der heimischen Vogelwelt, auch im Vergleich zu früheren Zeiten, bietet.

Erstmals wurde ein Titelfoto ausgewählt, das nicht den Vogel des Jahres darstellt. Dieses außergewöhnliche, atemberaubende Foto hat es verdient, mit dieser Tradition zu brechen. Dafür bekommt die Turteltaube dann an der Stelle ihrer Artbearbeitung eine entsprechende bildliche Würdigung. Außerdem sind die Fotos jetzt im Innenteil bei den dargestellten Arten plaziert.

Das Jahr 2020 war dadurch gekennzeichnet, dass es durch eine schwierige Wetterlage im April einen Zugstau in Südeuropa bzw. im Mittelmeerraum gab und dadurch viele Singvögel umkamen. Auch im Juni gab es teilweise Extremwetterereignisse mit hohen Niederschlägen, die zu Brutaufgaben führten, u. a. sichtbar bei den Weissstörchen. Im Winter 2020/21, der zunächst mild verlief, gab es nur wenige nordische Gäste wie Rotdrosseln, Erlenzeisige, die zwar auf dem Zug noch mit ordentlicher Zahl festgestellt wurden dann aber als Überwinterer nur in kleinen Zahlen. Es fanden sich einige herausragende Einzelbeobachtungen insbesondere in der Horloffaue in einer bisher nicht dagewesenen Dichte.

Der Brutbestand des Weisstorchs scheint jetzt auf einem Plateau angekommen zu sein. Es gibt kaum noch eine Steigerung der Brutzahlen. Träumen noch weitere Gemeinden davon, dass die Art auch bei ihnen brütet, so müssten hierfür erst die landschaftlichen Voraussetzungen getroffen werden durch Bereitstellung von genügend Futter, was in der hierzulande üblichen landwirtschaftlichen Praxis außerhalb der Auen illusorisch erscheint. Die Zunahme des Weissstochs hierzulande ist nach überwiegender Meinung auch durch die verschlechterten Nahrungsbedingungen in Osteuropa durch den Beitritt mehrerer Länder in die EU bedingt.

An dieser Stelle möchte ich über den Kreis Gießen hinaus auf den Nationalen Vogelschutzbericht 2019 eingehen, der vom DDA und BfN erstellt und über die Bundesregierung der EU zugestellt werden muss. Betroffen sind weiterhin die Vögel der Agrarlandschaften, durch die Intensivierung der Landwirtschaft und den Verlust an Insekten. Auch zu durchziehenden und überwinternden Zugvögeln wurde Stellung genommen. Der NABU Bundesverband kommentierte den Bericht mit den Worten "Agrarvögel in ungebremsten Sturzflug − mehr als jeder dritte Agrarvogel seit 1980 verschwunden". Die "TOP 10" der Vogelarten mit den prozentual stärksten Rückgängen in Deutschland im Zeitraum 1980 bis 2016 sind diese: 1. Kiebitz minus 93%, 2. Rebhuhn minus 91%, 3. Turteltaube minus 89%, 4. Alpenstrandläufer minus 84%, 5. Bekassine minus 82%, 6. Steinschmätzer minus 80%, 7. Brachpieper minus 79%, 8. Wiesenpieper minus 79%, 9. Uferschnepfe minus 78%, 10. Feldschwirl minus 75%. Man beachte: Unter den ersten fünf sind vier Jahresvögel des NABU! Dieser Bericht beschreibt die fatale Entwicklung der Insekten als Grundlage für die gesamte Nahrungskette. Der Zustand der Erde ist im Jahr 2021 gekennzeichnet durch eine weltweite Pandemie, den sich immer mehr beschleunigenden Klimawandel und den fortschreitenden Verlust unserer Lebensgrundlagen durch Artenschwund und einen dramatischen Schwund der Insekten, welche eine der Grundlagen allen Lebens auf der Erde sind. Es wird viel über all das geredet, aber wenig bis nichts umgesetzt, Geld regiert die Welt. Erst wenn der letzte Baum gefällt…

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